"Die Weltwirtschaft stellt uns vor neue Herausforderungen"

22.01.2019

Die Weltwirtschaft befindet sich in einem rasanten Umbruch. Rohstoffe und hoch verarbeitete Produkte werden quer über unseren Erdball ausgetauscht, Produktion und Absatz sind international organisiert. Zugleich verändern neue Technologien die globalen Produktionsketten und haben tiefgreifenden Einfluss auf deren politische, wirtschaftliche und soziale Einhegung. Die Regulierung dieser Wirtschaftsbeziehungen hat mit dem Tempo der technologischen Entwicklung nicht Schritt halten können. Fehlt der gesetzliche Rahmen, werden sich immer Unternehmen einfinden, die das Vakuum nutzen und Personal und Umwelt ausbeuten, oder gegeneinander ausspielen. Allen voran die transnationalen Unternehmen, deren Umsatz bereits die Bruttozialprodukte vieler Länder oder gar Regionen übertreffen und so auch politische Interessen definieren.

 

Wir müssen als Linke gemeinsam mit Gewerkschaften und anderen politischen Partnern, mit mittelständigen Unternehmen und Verbraucherschutzorganisationen, mit Umwelt- und Menschenrechtsinitiativen in aller Welt daran arbeiten, dass entlang der gesamten Wertschöpfungsketten anständige Arbeitsplätze und umweltgerechte Produktionsmethoden gesetzlich gewährleistet sind. Das erfordert zugleich Produktion und Konsumtion in ihrer internationalen Dimension neu zu verorten und auch die internationale Handelspolitik darauf auszurichten.

 

Einige erste Erfolge konnten wir als Linksfraktion im EP auch durch den Einsatz meines Teams in dieser Legislatur erreichen. Ein neues Gesetz ermöglicht es nun der EU-Kommission, gegen Umwelt- und Sozialdumping vorzugehen. Wir konnten eine Mehrheit dafür organisieren, dass bei der Bewertung, ob der Preis für ein Produkt vergleichsweise fair ist, dass zu uns nach Europa eingeführt werden soll, künftig auch die Kosten für die Einhaltung von Umwelt- und Sozialbestimmungen eingerechnet werden, die unsere Unternehmen zahlen müssen. Es gilt dies nun in der Praxis der EU-Mitgliedstaaten zu realisieren, und unsererseits als EP einzufordern, dass die Kommission entsprechend handelt.

 

Wir konnten durchsetzen, dass für Unternehmen künftig eine bindende Sorgfaltspflicht besteht sicherzustellen, dass aus dem Erlös der von ihnen geförderten oder eingekauften Rohstoffen keine Kriegshandlungen finanziert werden.

 

Wir arbeiten an einem globalen Kodex für Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltaspekten in ihrer Wirtschaftsaktivität - sowohl in Bezug der Umsetzung in der EU als auch hinsichtlich des Abschlusses eines international verbindlichen völkerrechtlichen Vertrages im Rahmen der UNO. Ein dickes Brett, das es zu bohren gilt, weil gerade EU-Mitgliedstaaten, einschl. Deutschlands, hier mauern.

 

In den kommenden Jahren müssen wir jedoch weitergehen: Grundprinzipien der globalisierten Weltwirtschaft sind zu hinterfragen und Messlatte für künftiges Handeln der EU und Mitgliedstaaten muss die Einlösung der für alle Kontinente im Rahmen der UNO vereinbarten 17 Nachhaltigkeitsziele der UN Agenda 2030 sein. Es verbleiben uns 12 Jahre. Zwölf! Das heißt für alle politischen, wirtschaftlichen, staatlichen und gesellschaftlichen Akteure endlich konkret zu realisieren , dass „Wachstum“ nicht mehr das Maß aller Dinge sein kann. Der Planet wird ein „Weiter so“ nicht aushalten. Deshalb brauchen wir auch für die EU-Handelspolitik und in den internationalen Beziehungen insgesamt dieses neue Maß für Umbau und Erfolg.

 

Aus diesen multilateral vereinbarten Zielen, aber auch aus den Werten, die wir uns in Europa hinsichtlich demokratischer Teilhabe, Datenschutz, Diskriminierungsverbot, Verbraucherschutz und Gesundheit über Jahrzehnte erkämpft haben, müssen wir regulatorische Grenzen ableiten, mit denen wir auf die neuen Technologien aktiv zugehen müssen. Datenschutz ist zum Beispiel kein Hindernis, sondern Voraussetzung für vertrauensvolle Nutzung von internetbasierten Technologien. Es gibt viele Beispiele für Veränderungen, mit denen wir uns pro-aktiv im Rahmen unserer demokratischen Gesetzgebung befassen müssen. Sonst droht eine Situation, in der das Kleingedruckte von Handelsabkommen die einzige internationale Referenz der Regulierung wird.

 

Zeit ist dabei nicht zu verlieren. Die Automobilindustrie befindet sich bereits in einem Technologiesprung in die Elektrifizierung, zeitgleich zur Weiterentwicklung der Robotik in der Fertigung. Märkte verlagern sich, ebenso wie andere Interessen und Nachfragebedürfnisse angesichts einer viel stärkeren Reflektion der globalen Herausforderungen und Widersprüche entstehen. In China werden mehr Autos verkauft und produziert als in den alten Zentren Europa, Japan und USA zusammen. Deutsche Hersteller haben vor, die neuen Antriebe vorwiegend in China und Südostasien zu produzieren. Was heißt diese Entscheidung bezüglich der Verlagerung einer jahrzehntelangen Kernkompetenz der deutschen Industrie und damit verbundene Abwanderung von Fachpersonal in Bezug auf die Entwicklung weiterer Zukunftstechnologien und was wird dies nach sich ziehen? Zudem müssen wir Lösungen für die Folgen des Umstiegs finden. Können wir Batteriemüll in eine Kreislaufwirtschaft integrieren? Wie verhindern wir, dass Batteriemüll und der Schrott aus der Umrüstung bestehender Fahrzeugmassen auf den Müllhalden Afrikas und Asiens „entsorgt“ wird? Das gilt ebenso für die Antriebe der sicher viel stärker zu fördernden öffentlichen Beförderungsmittel wie Bus und Bahn.

 

Andere Technologien stellen uns weltweit vor Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten, denen wir grenzüberschreitend begegnen müssen. Nanotechnologie, Künstliche Intelligenz und Hochleitungscomputer ermöglichen völlig neue Geschäftsmodelle - auch z.B. in der Verwertung von Datenprofilen. Wir selbst und unser Verhalten werden zur - auch international gehandelten - Ware. Die Manipulation durch smarte „Berater-Apps“ ist ein naheliegendes Zukunftsmodell, ob bei Kaufentscheidung oder Wahlen. Gleichzeitig sehen viele Menschen in Entwicklungsländern zu Recht in den neuen Technologien eine Chance, im globalen Internet-Umfeld einen Erwerb zu sichern, ohne zunächst ein Industriezeitalter durchlaufen zu müssen. Blockchain-Technologien sind schon heute dabei direkte Rechnungsbeziehungen zu ermöglichen. Bislang sahnen Zwischenhändler fast immer einen erheblichen Teil des Geschäftsvolumens ab und das trägt zur Verstetigung der Armut bei.

 

Gestützt auf Technologie organisiert sich der Finanzkapitalismus neu; Großbanken und Investment-Riesen wie BlackRock erwerben ungeahnte Möglichkeiten der Profitmaximierung nicht nur an den internationalen Finzmärkten, sondern auch der Einflussnahme auf Unternehmen und Regierungen.

 

Teile der politischen Kräfte um Donald Trump, die inzwischen in vielen Ländern zum Vorschein kommen und leider auch in Mitgliedstaaten der EU Erfolge erzielen, wollen den angesichts des seit langem tagtäglich erlebten Rückzugs des Staats aus der Regulierung verbitterten und verunsicherten Bevölkerungen als billige Lösung anbieten, das Rad einfach zurückzudrehen. China soll erneut wie bei seiner „Öffnung“ durch den britischen Imperialismus in den Opiumkriegen in die Knie gezwungen werden, Afrika verbleibt als Rohstoffquelle, die Familie soll wieder zur Institution werden und die Frau an den Herd verbannt werden, Fremde müssen draußen bleiben. Dieser rückwärts gerichtete Isolationismus ist weder Lösung noch menschenwürdige Politik.

 

Als Linke können wir diese Entwicklungen nicht ignorieren. Wir sind nicht nur gefordert mit konkreten, weitreichenden Vorschlägen für sozial-ökologische Alternativen Bürgerinnen und Bürgern Mut zu machen, sich politisch einzumischen, demokratische Veränderungen einzufordern; wir sind gefordert dahin zu gehen, wo es wehtut und uns in harten Auseinandersetzungen mit anderen Parteien innerhalb und außerhalb der Parlamente durchsetzen. Für eine friedliche Welt, für eine gerechte Welt, für eine nachhaltige Welt, für eine libertäre Welt.

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