Beenden wir die »Impfstoffapartheit«!
Zu Beginn der Corona-Pandemie war das Versprechen groß: Impfstoffe sollten global gerecht verteilt werden. Merkel betonte immer wieder, der Impfstoff müsse ein »öffentliches Gut« sein, das für alle Menschen zugänglich und bezahlbar ist. Doch für die ärmsten Länder sind Lieferungen von Impfstoffen weitestgehend ausgeblieben. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sprach von »Impfstoffapartheit«. Denn bei den ärmsten Ländern werde eine relevante Menge von Impfstoffen voraussichtlich erst 2023 ankommen. Dies auch, weil die reichen Länder sich vier bis acht Impfdosen pro Person reserviert haben.
In Deutschland werden nun überschüssige Impfdosen, die nur noch wenige Wochen haltbar sind, zurückgegeben. Sie sollen nun teilweise an Drittstaaten außerhalb der EU abgegeben werden. Um eine ausreichende und gerechte Verteilung von dringend notwendigen Impfstoffen zu gewährleisten, braucht es jedoch weltweit eine massive Steigerung der Produktion. Dafür müssten neue Rahmenbedingungen geschaffen werden. Doch für die Bundesregierung ist der Impfstoff vor allem eine Handelsware. Daher ist sie auch konsequent gegen eine Aussetzung von Patentrechten bei Impfstoffen und anderen medizinischen Produkten zur Bekämpfung der Pandemie. Mit Patenten stellen Pharma-Konzerne sicher, dass sie die Kontrolle über die Herstellung und die Vermarktung der Impfstoffe behalten.
Patentregeln wurden im sogenannten TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) 1994 festgeschrieben. Der US-Pharmakonzern Pfizer, heute Partner von Biontech, hat schon in den 80er Jahren zusammen mit zwölf weiteren Konzernen maßgeblich die Gründung der Lobbyorganisation Intellectual Property Committee betrieben und mit ihr die Grundlage für das TRIPS-Abkommen als »Blaupause« erarbeitet. US- und EU-Politiker haben diese dankend angenommen. Jetzt, in der Pandemie, wird mit diesen Patentrechten die Handlungsfähigkeit von Regierungen massiv eingeschränkt.
Daher haben Südafrika und Indien schon am 2. Oktober 2020 dem TRIPS-Rat der WTO einen Antrag vorgelegt, mit dem verschiedene Patentrechte für drei Jahre ausgesetzt werden sollen. Um weltweit die Produktion von lebensnotwendigen Impfstoffen, aber auch Schutzausrüstung, Sauerstoffgeräten und anderer Medizinische Produkte rasch auszubauen. Nach einer kürzlich erschienen Studie könnte die Produktion von Impfstoffen in vielen Ländern nach ungefähr einem halben Jahr beginnen. Über 100 Länder unterstützen daher diese Initiative.
Nachdem sich im Mai auch die neue US-Regierung für konkrete Verhandlungen zur Freigabe der Patente aussprach, gehörte vor allem die EU zu den wichtigsten verbliebenen Blockierern der Patentfreigabe. In der EU wiederum ist die Bundesregierung der entschiedenste Verweigerer einer solchen solidarischen Pandemiebekämpfung. Nach weltweitem Protest hat zwar die EU-Kommission ihre Totalblockade im Juni aufgegeben und die WTO konnte , nach neun Monaten Verzögerung, offizielle Verhandlungen aufzunehmen. Aber nur unter der Bedingung, dass ein Gegenvorschlag der EU-Kommission ebenfalls Teil der Verhandlungen wird. Dieser Gegenvorschlag der Europäischen Kommission beschränkt sich jedoch vor allem darauf, Ausfuhrbeschränkungen abzubauen. Beim einzigen Punkt, der sich auf das Patentrecht bezieht, geht es um Zwangslizenzen im Rahmen des bestehenden TRIPS-Abkommens. Pharmakonzerne haben jedoch erreicht, dass die Erteilung von Zwangslizenzen an ein kompliziertes Verfahren und an große technische Hürden gekoppelt und daher für viele Länder nicht praktikabel ist.
Erst letzte Woche hatte die EU-Kommission bei der Beratung des Allgemeinen Rats der WTO wieder deutlich gemacht, dass sie nicht der Ansicht ist, dass die vorgeschlagene Aussetzung des TRIPS-Abkommens eine angemessene und wirksame Reaktion darstellt. So musste der WTO-Sprecher Keith Rockwell eingestehen: Die Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation sind weiter uneins über eine Aussetzung der Patente. Ein Ende der Diskussionen sei nicht absehbar.
Die internationale Zivilgesellschaft muss daher lauter und eindringlicher die Freigabe von Patenten fordern!
Roland Süß ist Mitglied im Attac-Koordinierungskreis. Er arbeitet dort seit über 20 Jahren vor allem zu handelspolitischen Themen der Globalisierung.
Foto: pixabay
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