Brasilien nach der Wahl – Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit in den Wirt-schaftsbeziehungen zur EU

11.10.2022
Brasilien, die Wahlen und der Handel zwischen der EU und dem Mercosur

Veranstaltungsbericht zur Online-Veranstaltung am 4. Oktober 2022

Von Manuela Kropp, Projektmanagerin Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel

Zwei Tage nach dem ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahl in Brasilien organisierte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brazil eine Online-Veranstaltung mit dem ehemaligen Außenminister Celso Amorim von der brasilianischen Arbeiterpartei PT, der Professorin Terra Budini von der Universität PUC-SP in Sao Paulo und Helmut Scholz von der linken Fraktion im Europaparlament (THE LEFT).

Nach dem ersten Wahlgang liegt der linke Kandidat Lula zwar mit 48 Prozent vorne, so, wie von den Umfragen prognostiziert. Aber es gelang ihm leider nicht, gleich im ersten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen auf sich zu vereinen. Umso erschreckender ist das sehr gute Ergebnis des rechtsextremen Amtsinhabers Bolsonaro (43 Prozent), das in dieser Größenordnung nicht erwartet worden war. Am 30. Oktober 2022 soll die Stichwahl stattfinden. Aber unabhängig davon, wie diese Stichwahl ausgeht: bei den Wahlen zum Kongress (Gouverneurs- und Parlamentswahlen), die ebenfalls am 2. Oktober 2022 stattfanden, hat die extreme Rechte sehr erfolgreich abgeschnitten, so dass sie auch in den nächsten Jahren sehr präsent in Brasilien sein wird.

Celso Amorim (PT) hob in seinem Beitrag hervor, wie sehr die vergangenen Jahre unter dem rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro eine Zeit der Gewalt waren, die zu einer Polarisierung in der Wählerschaft geführt haben. Die Rechte hat nun bei den gleichzeitig stattgefundenen Kongresswahlen zugelegt und wird auch in den nächsten Jahren ihren Einfluss gelten machen. Die Krise des Kapitalismus und des Neoliberalismus führte bei der Wählerschaft, auch im rechten Lager, zu einer Polarisierung. Und zugegebenermaßen müsse man den Bolsonarismus bei vielen Wähler*innen relativieren, die eben auch Opportunisten seien und dem Charisma einiger moderater Rechter erliegen würden. Wenn Lula die Präsidentschaftswahl gewinnt, werde er sich verstärkt den Fragen des Klimaschutz, der Handelspolitik, der nachhaltigen Entwicklung und der südamerikanischen Integration zuwenden. Noch 1994 hätte die Handelspolitik unter der Überschrift „Freihandel“ gestanden, aber heute müsse der Fokus vielmehr auf der Einhaltung von Menschenrechten und von Klimaschutz liegen – dies dürfe allerdings nicht zu Protektionismus führen. Lula verstehe Brasilien als Brückenland zwischen Südamerika und Afrika und deshalb sei es so wichtig, dass die Verhandlungen zum EU-Mercosur-Freihandelsabkommen wiederaufgenommen würden. Dabei sei es entscheidend, wie Celso betonte, dass Brasilien sich selbst entwickeln könne und einen politischen Raum für Industriepolitik schaffe, denn schließlich solle Brasilien nicht „die Kornkammer“ der EU oder Chinas werden, sondern die eigene industrielle Basis erhalten und ausbauen. Beispielsweise müsse Brasilien mehr Flexibilität bei der Anwendung von Patenten erhalten, um eine eigenständige industrielle Entwicklung zu befördern.

Terra Budini hob in ihrem Beitrag hervor, wie wichtig es für Brasilien sei, den Übergang zu einer CO2-ärmeren Wirtschaft zu schaffen, die wirklich auf Nachhaltigkeit beruhe. Das EU-Mercosur-Handelsabkommen bette sich in die aktuell anwachsenden Konflikte von Landraub an Indigenen, Beschneidung indigener Rechte, Ausbeutung des Amazonas und steigender Treibhausgasemissionen ein. Gleichzeitig sähen wir seit einigen Jahren ein deutliches Anwachsen des informellen Sektors, der prekären Beschäftigung und eine Generation von Arbeitslosen heranwachsen. Das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen sei in der breiten Öffentlichkeit Brasiliens nicht wirklich bekannt, und seit 2016 sei sogar einen Ausschluss von Sozialpartnern wie den Gewerkschaften aus der Debatte zu beobachten, so dass kaum noch Zugang zu Informationen bestehe. Wenn Lula die Präsidentschaftswahlen gewinnt, wird er sich dafür einsetzen, die Verhandlungen für die Zivilgesellschaft zu öffnen und ausreichend Transparenz zu schaffen.

Helmut Scholz (DIE LINKE.) legte in seinem Beitrag dar, wie wichtig es sei, Nachhaltigkeitskriterien und soziale Standards in das Zentrum von Handelsabkommen zu stellen. Der derzeit vorliegende Text zum EU-Mercosur-Freihandelsabkommen sei nicht neu, sondern Ergebnis eines 20-jährigen Verhandlungsprozesses und müsse dringend neu verhandelt werden. Ernährungssicherheit und Energiesicherheit seien die zentralen Aufgaben der Zukunft, und umso wichtiger seien faire Handelsbeziehungen, so dass internationale Wertschöpfungsketten nicht zerstört werden. Im bisherigen Text gibt es bspw. keine Schiedsgerichtsbarkeit bei Fragen des Klimaschutz – dies müsse dringend geändert werden. Auch sollen die Zölle für den Textilsektor und die Automobilindustrie um bis zu 35 Prozent abgebaut werden: dies stelle ein großes Problem für Südamerika dar, denn hier drohe eine Deindustrialisierung breiter Regionen. Auch die Veredelung von gefördertem Lithium für die Produktion von Batterien für Elektroautos müsse vor Ort geschehen, um dort Arbeitsplätze zu schaffen. Daher hatte Lula bereits angekündigt, den Verhandlungstext neu aufzumachen, um hier Verbesserungen und eine Re-Industrialisierung der Länder des Mercosur zu erreichen. Die linke Fraktion im Europaparlament werde sich dafür einsetzen und Druck auf die europäische Kommission ausüben, um eine Öffnung des Vertragstextes zu bewirken.

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